In Arbeit

Blank

Ukraine – Oder – Sie reden wieder vom Fallen

Vorsicht Rekrut

Hoffnungsvoller
Neugieriger
Bereiter

Sie haben ihre Sprache wieder gefunden
Sie reden wieder vom Fallen

Vorsicht Junge

Sie beherrschen die Wortspiele
Ihre Formeln sind mächtig
Tarnen ist ihr Geschäft
Über Jahrtausende erfolgreich erprobt
Ihre Orden aus Blech
Metall des Beschisses seit ehedem
Gerne bewundert danach in Vitrinen
Neben dem Trauerband

Würden sie dir die Bilder der Schlachtfelder
beim Namen nennen
dir würde das Fallen im Halse stecken bleiben

Vorsicht Soldat

angehender
Mut geht anders
Wenn du sie hörst
Aufrufe genannt
Verzieh dich augenblicklich
Steh dazu
Geh allein
niemals in Kolonne
Sie sagen es selber
Ihre Wege könnten vermint sein

Vorsicht Rekrut

Lass dir keine Kameraden aufschwatzen
Freunde finden sich anders
Fürs Leben, nicht den Tod
Und wie kann einer dein Feind sein
den du nicht kennst

Vorsicht Junge

Meide Vaterländer
Sie atmen den Geruch von Kasernen
Sie nennen es Fallen
Die Landesväter
Sie lassen dich Fallen
das einzig Wahre daran

Sieh doch

Es ist genug gefallen worden
Es ist nichts Originelles mehr daran
Es wird Zeit für Mutterländer

Vorsicht Rekrut

Hör nicht hin
Sing, wenn sie dich rufen
Sing
sing, was die Freude dir eingibt
nicht ihr Heft
Es können keine Dichter sein
die den Tod preisen
Sing
das Lied eines Verrückten
Spiel
das Spiel eines Verrückten
im Spiel der Verrückten
Preise
den Tag
An dem sie dich wegschicken
Bevor es zu spät ist
Lass sie dich verloren geben
bevor du verloren bist

Und wenn dich deine Geliebte schickt

im Taumel der Betörten
wähl eine andere
Erkennen geht anders
Begreifen kommt zu spät
Definitiv

Bei deinem Fall
Auch für sie

Darum
Vorsicht Junge

Ich war dabei

Lies meine Packungsbeilage

Ich sage dir

Alles andere wird deine Gesundheit
beeinträchtigen

Frage

Wenn ich mich nicht hätte
was wäre dann

Wenn es jetzt nicht wäre
so denn wann

Wenn es hier nicht wäre
wo denn sonst

Wenn ich dich nicht hätte
wär’s umsonst

Eiertütsche

S’isch nöd einerlei
isch zerscht s Huen gsi oder s Ei
Es sind’s alli zwei
S’isch keis für sich elei

Doch bi dem Spiel um es Ei
git’s nu Ja oder Nei
günne chönd nöd zwei
s cha nu eis elei

Drum Schpitz gäge Schpitz
susch gits Chritz
dänn Schtumpf gäge Schtumpf
mis isch am e Rumpf

Und so wiiter im Chreis
eis gäge n eis
me chönt fascht säge
wie im richtige Läbe

Ich fand etwas

Es war nicht gross, nicht klein
nicht köstlich, nicht golden
Vielmehr nichts weiter

Ich fand etwas
Hab es nicht gesucht
Hätte es verpasst
gestern vor lauter Suchen

Ich fand etwas
Da lag etwas
in der Luft nebenbei
heute
wie Staub aus fernen Wüsten
erste Windstösse
vor dem Gewitter

erste Tropfen
erste Schwalben
erste Laute
frühmorgens
von der Strasse herauf

Etwas wie damals
Dein Blick im vorüber geh`n

Segelhafen

«für Gonne»

Drôle de Guerre
Entlaubter Wald
Ungeduld der Masten
klingeln nach Bedienung
auf dass das Schicksal Fahrt aufnehme

Doch Segel genügen sich selbst
Das Meer genügt sich selbst
Da fährt ein Mensch hinaus
Als wüsste er wohin.

Fussball

Für W. Busch

I

Erst redeten Experten viel
Dann kam der Zufall
und das Spiel

Danach war mehr noch Rede gar
bis Zufall
wieder Regel war

II

Erklär’s dem Tier
an Menschen statt
Wer nimmt schon Fuss
der Hände hat

Und auch der Kopf
von dort besehen
war mal für anderes vorgesehen

Mich dünkt
es nüchtern mal betrachtet
sind wir mit Fussball

überfrachtet

So ist der Ball
nach Protokoll
meist irgendwo
statt wo er soll

III

Und ohne Richter
offensichtlich
wär’ Mord und Todschlag
augenblicklich

Ging’s um das Edle
beim Gebandel
wozu das Geld
der Menschenhandel

Doch will’s nun mal die Nahrungskette
Am Anfang war und ist
die Wette

IV

Dann siegten wir
doch bitte helf
wenn ich sie zähle
sind es elf

Wie wurde ich Gewinner hier
auf unserem Sofa mit dem Bier

So gab’s schon
einen Fussballkrieg
kein Witz: Kanonen für den Sieg
Drum schiesst man erst in diesem Spiel
und geht’s daneben, ist’s nicht viel

V

Und wird mal nicht für Recht gestritten
wird auf dem Rasen viel gelitten
man wälzt sich um, als wär’s der Tod
der Richter blickt, dann zückt er Rot

Und wie ein Wunder: Auferstehung
War mal Gehinke, ist jetzt Gehung
und läuft bald schneller als zuvor
er tribbelt gar und schiesst ein Tor

VI

Doch Schluss damit
Die Zeit verrinnt
man ruft mich schon

Das Spiel beginnt

Corona

wenn es alle haben
haben es alle nicht mehr
wenn nicht alle es nicht haben
haben es alle wieder
wenn es alle wieder haben
haben es alle wieder nicht
wenn es so weitergeht
geht nichts mehr
wenn nichts mehr geht
geht alles wieder los
wenn alles wieder los geht
ist bald nichts mehr los
dann haben es alle wieder
bis alle es nicht mehr haben
und wieder etwas los ist

es sage einer
es sei nichts los
wenn nichts los ist

Du kannst mir erzählen

Du kannst mir erzählen
was du willst
ich will nicht wissen ob’s stimmt
Niemand sagt’s so schön wie du
für Götter, du Schöne, dein Bild

DIE BEDROHUNG oder Mich wundert, dass ich fröhlich bin

Vorwort

Anlass zum Schreiben ist mir jedes Mal eine Beobachtung, die ich nicht einordnen kann, ein Satz, der eine Melodie und einen Zauber verbreitet, aber auch ein tüchtiger Ärger, ein Schock, eine Ungeheuerlichkeit, wie damals die Tatsache, dass die Mehrheit des amerikanischen Volkes einen Donald Trump hat wählen können, und die andere Seite nicht in der Lage war, es zu verhindern. Als ich in jener Nacht den Satz vernahm: «Gewählt ist Donald Trump», musste ich gleich anfangen zu schreiben.

Nachdem nun ein berechenbarer Geist ans Ruder gekommen ist, und die Demokratie da drüben immerhin bewiesen hat, dass sie selbst einen Trump verkraften kann, sind jetzt, anfangs 2022 wieder sogenannte Abrüstungsgespräche angesagt. 2010 vereinbarten die USA und Russland bis 2018 ihre Arsenale bis auf je 1500 Sprengköpfe auf jeder Seite abzurüsten. Noch immer ein ungeheurer Overkill und insofern schon ein Witz. Heute, 2022, zählt man auf der einen Seite noch immer 6375 und auf der anderen 5800 Sprengköpfe – 55 weniger als vor einem Jahr und 72 weniger als 2017. . . Dann sind da noch rund 1200 der anderen 7 Atommächte, und was Dunkelziffer heisst bei solchen Themen, kann man sich ausrechnen. Diese Zahlen allein schon beweisen, dass von gutem Willen abzurüsten nicht die Reden sein kann.

Und gegen die heutigen Kaliber waren Hiroshima und Nagasaki Knallerbsen im Vergleich. Und sogenannte Hyperschallraketen sind heute in der Lage, ihr Ziel auf Baum Höhe anzusteuern, von keinem Radar zu erfassen. Sie fliegen mit Mach 5, es bleiben zehn Minuten, die richtigen Entscheide zu treffen, die so oder so alle nur falsch sein können. Von der viel beschworenen « Balance des Schreckens» – allein schon ein Irrsinn – ist kein Schutz mehr zu erwarten.

Zur gleichen Zeit, in der sie angeblich abrüsten, verfeinern sie ihre Angriffstechniken. Auch neue nichtnukleare Abschusswaffen gegnerischer Nuklearketen werden notwendigerweise zu Angriffswaffen, und gemäss Verträgen dürfen ausgemusterte Sprengköpfe in Bedrohungslagen jederzeit wieder aktiviert werden. Besser also, man belässt sie gleich auf dem alten Stand, um sie möglichst lange sofort einsatzbereit zu haben.

Das allein schon der offizielle Stand der Dinge. Und was sie noch hinter der Hand halten, die Grossmächte, die einander misstrauen wie Rumpelstilzchen die Wahrheit sei offen gelassen, der Cyberkrieg eröffnet ganz neue Dimensionen.

Heute in der Zeitung: «Die USA rüsten Australien mit Atom Untersee-Booten aus». Abrüstung? Im Prozentbereich nicht zu bestreiten, qualitativ findet unter dem Deckmantel Abrüstung gerade eine zügige Aufrüstung statt. Vergleichsweise: Wir verzichten mit grosser Geste auf tausend Pferde der Kavallerie und schaffen dafür zwanzig Panzer an. Niemand könnte sagen, dass wir nicht guten Willen zeigten. Und wir kennen das aus unserem Schweizerischen Polit- und Medienbetrieb: Während die Swissair, «Fliegende Bank» und Wunderkind des Landes, in den Sinkflug überging, und als wir Steuerzahler etwas später umgehend die hochrentablen Banken vor dem Kollaps retten mussten, während den fehlbaren CEOs noch zweistellige Millionenboni nachgeworfen wurden, diskutierten wir in Parlament und Medien über: Cervelat-Würste, Bündnerfleisch, Kopftücher, Maulkörbe für Hunde, Wölfe und Minarette. Jeder kennt es: Von was soll die Rede über B von A ablenken.

Wer die Zahlen um das Thema Abrüstung betrachtet, sollte dieses Wort künftig als Beleidigung empfinden. Weil es immerhin um mehr geht, als um die Gefahr durch ein paar Wölfe. Wo immer aufbereitetes Uran auch auftaucht, in welcher Form auch immer – es muss weg, wir sind diesem Stoff nachweisbar nicht gewachsen. Diese Technologie gehört den Sonnen, nicht den Planeten. Davon gibt es eindeutige Zahlen und Bilder. Ikarus überschätzt seine Technologie, unsere materiellen Gefässe sind zu brüchig, unsere psychische Ausstattung zu unzuverlässig. Nun liegt die Büchse der Pandora in Realität geplündert am Fuss des Felsens und wir haben den Salat. Die Griechen hatten es geahnt: Prometheus wird ein Feuer stehlen, dessen Potenz er sich nicht bewusst ist. Ein Taubenei grosses Stück angereicherten Urans entspricht der Explosionspotenz von tausend Tonnen herkömmlichen Sprengstoffs, geeignet, eine Grossstadt zu zerstören und schlimmer noch: Länder auf Jahrzehnte hinaus zu vergiften. Ein solches «Spielzeug» kann nicht gut gehen unter Menschenaffen.

Sie wollen sich also wieder treffen, in Genf, die Delegationen der beiden Grossmächte, um, wie es heisst, einander erst einmal «kennen zu lernen». Und wie lange gedenken diese Herren sich kennen zu lernen? Ist auch eine Frau dabei? Eilt es allenfalls gar nicht besonders, im schönen Genf mit seinen exzellenten Restaurants im Umfeld der lieblichen Rebberge? Wenn sie weiterhin alle vier Jahre 72 Sprengköpfe abrüsten, darf dieser Männerclub noch lange mit gewichtigen Mappen an der Hotelbar hängen.

Dabei sind wir schon mehrere Male haarscharf an einer atomaren Katastrophe gerade noch vorbeigeschrammt; dutzende verlorene Bomben liegen auf dem Meeresgrund; kiloweise Plutonium ist verschwunden; hysterische Generäle drohen mit ihren immer neuen Spielzeugen, die wir ihnen in die Hände geben, mehr und mehr Länder basteln an der Bombe. Zwei Atomkraftwerke sind schon hochgegangen, und niemand weiss wohin mit dem Auswurf dieser Technologie. In Tschernobyl goss man einfach mal Beton darüber, um Fukushima liegt er am Strassenrand in tausenden Müllsäcken seit zehn Jahren einfach da, in der Schweiz versucht man seit Jahrzehnten ein Endlager zu finden und wird nicht fündig – alle wollen Strom, aber niemand will den Mülle vor der Haustür haben, kein Loch ist tief genug, und man spricht von Delegationen, die sich erst mal kennenlernen wollen. Schlimmer noch: Atomkraftwerke werden selbst für Grüne wieder Option. Abschaffung?

Vor fünfundreissig Jahren ist in Tschernobyl ein Reaktor explodiert – noch heute müssen im Tessin, zweitausend Kilometer entfernt, geschossene Wildschweine entsorgt werden, wenn sie zu viele kontaminierte Pilze gefressen haben. Es gibt schon über vierhundert Reaktoren in über dreissig Ländern in der Welt und vierundfünfzig werden gerade neu gebaut. In Frankreich sollen flächendeckend Minikernkraftwerke entstehen. Sie mit Metastasen zu vergleichen, die bald nicht mehr zu kontrollieren sind, wohl nicht weit hergeholt. Jedenfalls Mini-Gaus werden kaum mehr überraschen, die hatten wir schon, ob sie für die Betroffenen mini waren und sind, sei dahingestellt. Dem Fortschritt zuliebe Beton drüber wie in Tschernobyl oder Abfallsäcke bestellen wie in Fukushima – hat jemand eine bessere Idee? Jedenfalls nicht die Populisten in der Schweiz; auch hier wird der Bau eines neuen Atomkraftwerks vorgeschlagen, «weil im Falle einer Krise jedes Land sich das nächste sei». Sich der Nächste sein – was anderes ist von dieser Seite auch zu erwarten!

Und die Zeit ist günstig, die neoliberalen Think Tanks beschwören gerade einen angeblichen Energie Engpass in wenigen Jahren, der anders als durch neue Atomkraftwerke nicht zu überbrücken sei, und ein anderes Denken, als das Zunehmen und mehr Desselben voraussetzt, ist auch von dieser Seite nicht zu erwarten.

Soll man dem Zynismus oder Blindheit sagen? Unsere Ignoranz vor den nüchternen Fakten dessen, was ich im Folgenden pauschal Die Bedrohung nenne – mit Klimaerwärmung, Artensterben und Seuchen nur das zweitdringlichste mitgemeint – ist nicht zu überbieten. Aber wir schweigen. Warum? Was verschlägt uns die Sprache? Was lässt uns immer wieder auf Ablenkungsdebatten hereinfallen? Was lässt uns immer wieder unfähige Politiker wählen, die nur sich selbst im Fokus haben? Was lässt uns immer wieder zu Kälbern werden, die ihre Schlächter selber wählen? Statt uns immer wieder von der Verantwortung loszusprechen, dass wir, das Volk, für unsere Regierungen vollumfänglich verantwortlich sind, sollten wir uns fragen, was uns hindert, selbst sofort und mit allen Mitteln alles Erdenkliche in Bewegung zu setzen, dass eine Gefahr umgehend verschwindet, die alles wegputzen würde, was wir lieben und erreicht haben, was unsere Vorfahren jemals durch ihre Katastrophen an Werten hinübergerettet haben. Einfach alles verbrannt, vergiftet und weg, und wir chatten über Wetter und Büsi Futter, nur nicht über das Wesentlichste: Dass wir neben der Bedrohung durch Kernkraftwerke einem Dutzend Menschen beliebiger Integrität die Macht in die Hände gelegt haben, der Geschichte des Homo Sapiens innerhalb weniger Minuten jederzeit ein Ende zu bereiten. Jederzeit. Auch den herzigen Büsis. Haben wir mit der Klimaerwärmung, dem Artensterben und diesen Viren nicht schon genug am Hals? Ein Krieg mit Atomwaffen, ein Supergau, heisst Klima, Artensterben und Seuche auf die Sekunde gebracht. Darum beschränke ich mich in der Folge auf diesen einen Punkt, auch wenn die anderen Bedrohungen mitgemeint sein sollen. DIE BEDROHUNG sollte das erste Thema sein, wo immer Menschen sich treffen. Alles was recht ist, wir sollten es uns ganz einfach wert sein.

Ukraine, Februar 2022, achtzig Jahre nach Stalingrad stehen sich mitten in Europa zwei Panzerarmeen gegenüber, wird ein russischer Angriff täglich erwartet, ist die Androhung Nuklearkrieg ausgesprochen worden. Ein russischer General: Er denke nicht, dass Putin einen Atomschlag in Erwägung ziehe. Er denke nicht…

24.Februar – Putin droht erneut mit Folgen, die die Menschheit bisher noch nie gesehen hätten, sollten sich andere Staaten militärisch gegen die Invasion seiner Truppen stellen.

25. Februar, Tschernobyl ist eingenommen und wird erstmals als Drohkulisse instrumentalisiert. Ein Atomkraftwerk in Zeiten von Krieg ist nichts anderes als eine Atombombe am Boden, eine Handgranate in die Zentrale, eine simple Cyber-Attacke kann sie auslösen.

27.Februar, Putin droht erneut mit Atomschlägen.

4.März, im grössten laufenden Atomkraftwerk der Ukraine ist aufgrund der Kriegshandlungen ein Brand ausgebrochen.

12. März, erneut warnt Präsident Biden vor einer Eskalation zu einem Atomkrieg. Ein Zwischenfall an der Nato-Grenze, ein Fehlalarm könnte genügen.

Sind wir noch bei Sinnen? Waren wir von Sinnen, es so weit kommen zu lassen, und was hat uns die letzten Jahre die Sicht vernebelt auf das doch Offensichtliche? Von dieser Frage wird nach meinem Verständnis alles abhängen, was uns und unseren Kindern eine lebbare Zukunft versprechen könnte. Was vernebelte uns den Verstand und vernebelt ihn noch und wird ihn uns weiter vernebeln, sollten wir mit dem Krieg in der Ukraine noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen sein. Es ist eine grundsätzliche Frage, die, wie immer auch beantwortet und ehrlich gesagt, was mich betrifft, wenig Optimismus offenlässt. Hoffnung ist ein Flatterwesen. Sie stirbt zuletzt, heisst es. Jedoch nur wenn sie tatsächlich gestorben ist – wer Hoffnung ganz verliert, kann weiteres Hoffen für berechtig halten.

Bis anhin hätte man meinen können, Atomraketen gäbe es gar nicht mehr und da das Leben auch nach Fukushima weiterging, Atomkraftwerke wären jetzt ganz bestimmt gegen alle Eventualitäten abgesichert, «The Day After» fand im Kino statt, vor vierzig Jahren schon, etwas Gruseln auf dem Sofa kommt dem Verdrängen zupass.

Käme das böse Erwachen nur nicht zu spät! Es bleibt uns nur noch eine reale Zitterpartie, das beliebige Mäandern und sich Aufschaukeln der Ereignisse durch die felsenfest gebaute Landschaft der politischen Realitäten und auf die Sekunde justierter Vernichtungseinrichtungen hinzunehmen. Meine Nachkriegs – Generation hätte es in der Hand gehabt das Ruder herumzuwerfen, nicht nur in dieser Sache. Die Mehrheit wollte es nicht, die Minderheit hielt sich für zu schwach es zu tun, die Warner wollte man nicht hören. Von unserem NEIN DANKE, hätte damals rigoros das Danke gestrichen werden sollen. Der Rest besorgte die Verführung eines beispiellosen Booms auf allen Ebenen, eine Verwöhnung in Europa, die die Weltgeschichte noch nie erlebt hat, nicht weniger als aufgrund der Plünderung der Ressourcen unserer Kinder und Enkel.

Die Verlautbarung nach dem Treffen Biden – Putin vom 16.Juni letzten Jahres «Unsere Delegationen werden sich in Genf treffen, um sich kennen zu lernen, war mir vor diesem, sich jetzt in aller Deutlichkeit offenbarenden Desaster jedenfalls ein Satz zu viel. Darum der damals darauffolgende Text, der zwar, noch schneller als er entstand, dieser Tage von der Realität überholt wurde, was aber nichts ändert an der Frage, warum wir lieber glauben als denken wollen – immer noch, weiterhin. Der Text soll so monströs sein wie die Bedrohungslage selbst, meinetwegen eine Zumutung, nicht weniger als wir uns selber zugemutet haben mit einer Verdrängungsleistung der letzten Jahrzehnten nie gesehenen Ausmasses.

Mein Unding wird an alledem nichts ändern, aber ich bin meinen Ärger los und habe wieder einen freien Kopf für anderes. Und Würde ist auch etwas, wie gesagt. Die Lage ist hoffnungslos, Weiterleben von unseren Kindern und Enkeln von glücklichen Zufällen abhängig, es kann nicht gut ausgehen, da stehe ich – aber wenigsten soll man mir nicht auch noch vormachen, und wenn, dann wenigstens mit besseren Geschichtchen. Abrüstung ist ein schlechtes. Auch Bedrohung durch Wölfe und Kopftücher ist geradezu grotesk und beleidigend, eine Realsatire, verglichen mit dem realen Overkill, den wir haben entstehen lassen in den letzten Jahrzehnten, Overkill der die Potenz hat, lebenswertes Leben auf unserem Blauen Planeten in einer Sekunde auszulöschen, vielzitiertes Weltkulturerbe ade.

In Hiroshima war es in der 17. Sekunde des 17. August nach 8:15 Uhr, als für 80 000 Menschen die Welt unterging und noch für viele mehr ein Martyrium begann, das nie je seinesgleichen sah. Drei Tage später ein zweites Mal, als ob einmal nicht genügt hätte. Aber der Menschenaffe ist neugierig, die Bombenbauer wollten noch ein anderes Modell testen: Die Wasserstoffbombe. Nun haben wir sie. Wie werden neue Modelle lauten? Die Neugier unserer Gattung hat uns nie gesehenen Wohlstand gebracht aber auch das Teuflische potenziert. Was machbar war, wurde auch gebaut – und wenn nicht, nicht weil es zu gefährlich war für Leib und Leben, sondern weil es sich nicht rechnete. Auch Krisen, Konflikte und Kriege enden, wenn sich niemand mehr ein Stück davon abschneiden kann, sich niemand mehr politisch profilieren kann, die Handelsströme leiden, die Börse kränkelt. Mehr ist nicht an Moral. Und wenn es nur darum wäre: Würden wir doch wenigstens einsehen, dass sich «Atom» auf die Dauer nicht rechnen kann, ja Dauer schon nie hätte in Betracht gezogen werden dürfen.

Ein Supergau in einem Dorf nebenan reichte auch. Sie heissen hierzulande Gösgen – Dänikon, Leibstadt, Beznau im biederen schweizerischen Mitteland. Besichtigungen siehe Webseiten. Kinder frei, für Vereine, Rentner und Soldaten ermässigter Tarif. Sie geben auch Tabletten ab, sollte das behauptete nicht vorkommen Könnende trotzdem vorkommen. Tabletten! Für allfällige Nebenwirkungen fragen sie einen Arzt oder Apotheker. Heute in den Medien: Gösgen habe sich von selbst abgeschaltet, Ursache noch unbekannt, die Atomaufsichtsbehörde ermittle, Tabletten noch nicht einnehmen, auch die Apotheker warnen.

Es lohnt sich auch Fukushima anzuklicken – wäre da noch mehr Stoff ausgetreten, hätte man Tokyo evakuieren müssen. Anstalten dafür gab es schon. Tokyo evakuieren (42 Millionen: fünfmal Bevölkerung Schweiz). Die anderen Kernkraftwerke im Lande der ersten zwei Atombomben Abwürfe, heisst es, funktionierten einwandfrei, man setze weiter auf Atomkraft.

Nein, leider schaffe ich es nicht, optimistisch in die Zukunft zu blicken.

Ich stelle mir Ausserirdische vor, die unser Verhalten in dieser Sache zur Zentrale funkten. «Es muss etwas Gewichtiges geben bei diesen Menschen, etwas das sich zwischen den objektiv höchst gefährlichen Bedrohungen und dem sorglosen Verhalten der Bevölkerung des Planeten Erde schiebt, etwas, das sich unsere Wissenschaftler nicht erklären können, etwas in den Gehirnen dieser sonst äusserst erfolgreichen Menschenaffen, etwas was ihr rationales Denken überlagert, infiltriert, um nicht zu sagen anästhesiert. Ob es unter anderem mit den seltsamen Gebäuden und Türmen zu tun hat, die an prominenter Lage noch inmitten der kleinsten Ansammlung von Häusern stehen, ja sie alle überragt und deren Zweck wir uns nicht erklären können?

Ich möchte es auch wissen. Die technischen Fakten liegen ja offen auf dem Tisch, sie sagen schon alles, die ausserirdischen Forscher bräuchten sich nicht lange damit aufzuhalten, sie wären die Richtigen, energetische Potenzen einzuschätzen. Sie wollten etwas anderes wissen. Und darum geht es im Folgenden: um eine Untersuchung möglichst aller filigranen Zusammenhänge dieses seltsamen Konglomerats unserer Verhaltens- und Denkweisen, die es bewirken, dass wir die grösste Bedrohung organischen Lebens auf dem Planeten Erde schlicht auszublenden imstande sind, dass Büsis und Influenzer Millionen Mal mehr angeklickt werden als Hiroshima und Fukushima.

Es geht um die Frage, ob wir unseren erstaunlichen menschlichen Intellekt mehr dazu benutzen, Hoffen und Glauben zu durchschauen oder nicht vielmehr zu verteidigen.

Drôle de Guère oder Schlafwandeln auf dem Weg zur Klippe könnte als Titel dieses Buches auch taugen. Trotzdem carpe diem – wenn ich auch weiss, dass die Bomben weiter ticken, jederzeit an jedem Ort Panzerarmeen auffahren können und auch der neue James Bond es nicht noch in der letzten Sekunde richten wird. Jeder Tag, an dem es nicht passiert, ist schon ein guter Tag. Ja, ich schätze ihn umso mehr. Ich verzichtete aber gerne auf die Voraussetzung, dass das Damoklesschwert an der letzten Faser hängt und die Rettung im Kino stattfindet, das wir erst noch erleichtert verlassen.

Ich wundere mich zuweilen schon sehr, warum ich fröhlich bin.

Ps. Dieser Text ist in den letzten Monaten des Jahres 2021 entstanden und bezieht sich – einzelne Einschübe ausgenommen – auf die vor den Ereignissen um die Ukraine bekannte Faktenlage. Da wir nun auf Schlag in vielerlei Hinsicht etwas kritischer geworden sind in Bezug auf unsere Sicherheit auf diesem Planeten, aber offensichtlich weiter hoffen, glauben und beten, dass das Schlimmste schon nicht passieren wird, habe ich auf eine Anpassung des Textes an die Entwicklung dieses schrecklichen Verbrechens am ukrainischen Volk verzichtet. Sollten wir tatsächlich noch einmal an einer finalen Atomkatastrophe vorbeischrammen, wären diese Waffen ja immer noch da und das Klima – in jeglicher Hinsicht – hätte sich wohl auch nicht von alleine verbessert, im Gegenteil. Ein Zurück, angesichts der sich gegenseitig bedingenden und sich exponentiell hochschaukelnden Krisen gibt es nicht. Spätestens nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine ist, was wir bis anhin Normalität nannten, Vergangenheit. Ein Zurück zum «guten alten» Kalten Krieg gibt es nicht, der neue ist bei weitem noch gefährlicher, als es der alte schon war. Auch wenn die Vertreter «der Märkte» und die Populisten, das Rad der Geschichte eigennützig und mit allen Mitteln zurückdrehen wollen – wer es nicht schon früher hat sehen wollen: Es ist spätestens in diesen Tagen unzweifelhaft die ultimative Zeitwende eingeläutet worden, die Party auf Kosten unserer Kinder und Enkel ist definitiv vorbei, und wenn Hoffnung trotz allem noch berechtigt ist – es geht nun ums Ganze.
Zürich, im März 2022

Also auch du willst nach Japan

I
Dann sieh dich vor
Sie tarnen ihr Heiligstes
mit den gleichen Kulissen
Ein besseres Versteck gibt es nicht

Es scheint wie bei uns
Eine Rolltreppe ist eine Rolltreppe ist eine Rolltreppe
Nur die Stille in der U-Bahn befremdet auf Anhieb

Aber du wähnst dich da sicher auf deinem Irrweg
als fühltest du die Wärme der eigenen Schlüssel in der Tasche
Dass sie keine Strassennamen kennen, selbst in Grossstädten
wäre das wenigste

II
Du glaubst dich angekommen
weil du die Stäbchen beherrscht
seit Sushi selbst in Kantinen angekommen ist
Dabei bist du noch nicht einmal losgegangen
im Labyrinth, in dem sich noch jeder Fremde verlor

Nein, Mauern brauchen sie nicht
Der Schutz ist perfekt
Mauern trauen sie nicht
Ich bin durch eine hindurchgegangen
Dass sie aus Papier war, ist kein Klischee

III
Ob sie der Fuji lehrt
Der Kaiser der Berge

Wenn nur schon seine Untertanen hüsteln
Purzeln die Verpackungen
die sie Häuser nennen
Aus Erfahrung nicht für die Ewigkeit gedacht

Auch ihre Tempel nicht
Bloss Verpackungen
mehrfach neu
Ästhetik bewundert von der ganzen Welt

Vor den Tempeln machen sie es vor
Ein Wisch durch den Sand
und alles von vorn
Wie im richtigen Leben

Ich hätte damals nicht an unsere Tempel gesprayt
würden wir das auch so sehen

IV
Ewig thront da der Berg
Von Tokyo mit dem Taxi zu erreichen
Und ewig drängt das Meer
Man erzürne sie nicht
die Geister
die zweifellos verpackt sind
in allem was da kreucht und fleucht

und geht und steht

Auch in den Lichtduschen der Innenstädte
Wo die Jugend mit zwei Handys gleichzeitig vor der Nase
und Kabel im Ohr einhergeht
als ginge sie voran in unsere Zukunft

Neue Götter haben es da leicht
Man kann sie stündlich wechseln
je nach Bedarf
Religionen haben mehr Follower als Einwohner in diesem Land

V
Ja, jeder ein Geheimnis
Was ja schwer von der Hand zu weisen ist
Masken haben da andere Gründe
Jedem sein Geheimnis
Man lasse es uns

Ob es die Dichte verlangt auf dieser Insel
Ich wusste nicht, wie wohltuend das ist

VI
Idiot somit, wer sich nicht verneigt
vor so viel Realitätssinn
Egal wer vorbeigeht
ins Warenhaus tritt
am Fernsehen frei als Mafiosi sich vorstellt
neben dem Polizeipräfekt
wie mit oder ohne Gas
wie Gut und Böse
fraglich, was schlimmer ist
wer höher ist
Darum verneige man sich noch tiefer
Es will kein Ende nehmen

Ich hätte es selbst begonnen
wenn ich es mir hätte abnehmen können
Bei uns lernt man es nicht

VII
Aber wer zumindest ein bisschen zu verstehen beginnt
auf dieser Insel, gesteht
dass er mit jedem Tag weniger versteht
sich selbst am wenigsten
und abreist mit Fragen
mehr als er mit Fragen kam

IX
Wie klatscht man mit einer Hand
Antworten sind das Ende des Lebendigen

Darum sind sie schon immer hin gepilgert
diesem Verdacht auf der Spur
die nach sich selber suchten
dem Lebendigen in unseren Verpackungen

um auf sich selber zurück geschubst zu werden
ob von einem Sensei im Kloster
oder auf Schritt und Tritt in diesem Land

Sei dir selbst ein Witz, der dich erleuchtet
Und lasset die Toten ihre Toten begraben
Eulenspiegel verarschte die Einbildung
auf dem Hochseil

Koans waren auch unseren Meistern bekannt
Man müsste nicht hinreisen

XI
Auch du willst also nach Japan

Dann sieh dich vor
Sie tarnen ihr Heiligstes
mit den gleichen Kulissen

Nur ihre Zeichen zeigen sie dir
auf Schritt und Tritt in jeder Grösse
Das Wort Haus hat ein Dach
Bilder, die perfekte Verpackung

Darum wohl verpacken sie alles
dreifach und vierfach
egal was
Es ist die Kunst selbst
wie sonst

Denn das Höchste kann nur Leere heissen
Götter verbaten sich Namen
Auch unsere, wer sich erinnert

XII
Was man als Kind nicht gelernt hat
glaubt man zu begreifen
Was man als Kind greift
begreift man auf immer

Sei gewiss, du kannst es nicht lernen
solange du meinst, hinfliegen zu müssen
Auch in Kyoto nicht, der heiligen Stadt
Auch mit bestem Willen nicht, den teuersten Pinseln
nach Jahren in Tempeln und Höhlen

Du kannst dich nur erinnern
Das allerdings lehren keine Tempel besser

XII

Japan ein Rätsel
Im Gegenteil
Wir bringen unsere Lösungen mit
Sie brachten lauter Lösungen mit im Gepäck
als sie ankamen, die Fremden
zu Wasser und in der Luft
sicher ihrer Mission

Darum schotteten sie sich ab
auf ihrer Insel
Wohlweislich
Und tun es noch

Ob Mauer, Papier oder Code
Die Grenzen sind im Kopf
haben die Grossmütter gezogen
die Turnlehrer und Priester
um uns und in uns und in der Luft
an jedem Ort, in jeder Sprache

Alle stehen wir an, am andern
Jeder ist fremd vor dem andern
so what

Auf dieser Insel kann man lernen
es zu respektieren

Es Manieren zu nennen
wäre zu kurz gegriffen
aber würdig zu kopieren
seit ich da war, vermisse ich es

XIII
Fern war schon immer die Voraussetzung von nah
Dafür muss man nicht nach Japan reisen

Aber um sich zu erinnern daran auf dieser wackeligen Insel
wie gesagt
wo du dich morgen schon in den eigenen Trümmern
nicht mehr auskennen kannst

Und wenn wir es nicht verstehen wollen
verstehen wir alles nicht in diesem Land

In das ich immer wieder reisen muss
um zu verstehen

Die Rücknahme

Eine etwas ungewöhnliche Kamingeschichte aus dem Tessin
*
Camanoglio, März 2020

Ein Thema war es länger schon, aber seit einer Woche greift es in unseren Alltag ein:
Das Virus ist angekommen, im hintersten Tal, ausnahmslos bei jedem, bei jedem bei
uns im Haus auf dem Berg, im kleinen Lebensmittelladen, im Nachbardorf, der
Tankstelle, der Post. Auch die Kinder – sogar die jüngsten zwei – wundern sich, wie
eigenartig wir uns jetzt bewegen und über etwas sprechen, das neuerdings offenbar
alles bestimmt.

Sogar bei den Wildtieren in den Wäldern rundum ist es angekommen. Sie kommen
ins Dorf, von allen Seiten her, als forderten sie zurück, was wir ihnen genommen
haben. Seitdem die Flugzeuge ausbleiben, die Autos nicht mehr blenden, die
Motoren schweigen, kommen sie heran, traben über den Dorfplatz, trinken am
Brunnen. Die Marder platzieren Häufchen vor den Türschwellen, als wollten sie
schon mal ankündigen, dass sie demnächst einzuziehen gedenken. Der Fuchs trabt
über die Treppe herab hinter dem Haus, bleibt stehen, schaut kurz in unsere Küche
herein und trabt weiter.

Gestern hat ein Wolf – oder war es ein Bär? – der über die nahe Grenze kam,
ungehindert, wie das Virus aus Italien eine verirrte Ziege gerissen. Früher wäre er
DIE Schlagzeile gewesen, jetzt heisst sie CORONA. Unsere Kinder fanden den
kopflosen Torso, vielmehr nur noch ein Gerippe unter Fell im Wald unterhalb
unseres Hauses. Die Füchse hatten es noch ganz ausgeweidet und die Knochen
rundum verstreut, wie sie neuerdings nachts unseren Kompost zerteilen und
verstreuen. Täglich sind sie nähergekommen, zu Lande zu Wasser und durch die
Luft: die Frösche sind schon da im Gras, durch den verfrühten Frühling aufgeweckt,
die Raubvögel kurven nahe übers Dach und spähen nach unseren Tauben im
Schlag, Hirsche, Gämsen und Rehe stehen auf dem Parkplatz vor dem Skilift, als
wollten sie ein Billett kaufen.

Der Mythos könnte lauten: Am Anfang war das Virus, kam aus dem All, züchtete
Pflanze und Tier ihm zur Nahrung, züchtete Menschen und liess sie glauben, Götter
zu sein, damit sie herrschten, sich vermehrten und den Planeten mit ihren Projekten
überzogen. Aber die Menschen vergassen in ihrer Hybris, dass sie bloss Wirte
waren, Pächter, die dem Besitzer zu gehorchen haben, sollte er dereinst anklopfen,
um zu prüfen, was inzwischen geworden war. Und es ist viel geworden inzwischen.
Zu viel?

Nun ist er da. Nun ist ES da. Geschlechtslos, ein Code bloss, in etwas Eiweiss
gehüllt, ein Wille aus dem All, hergeflogen in einem Stein, damit alles beginne und
wohl auch mal ende, wer weiss es, es ist im Code eingeschrieben, den kein
Whistleblower entschlüsseln kann und jemals wird, ist auch er doch Teil des Codes
und nicht der grosse Wille dahinter, den einige Gott nennen und andere sogar
duzen, als wäre er bloss der Nachbar nebenan mit seinem Hipster-Bart.
Oder es ist, als sei der Kaiser da, auf der Durchreise von Italien, und zeige den
Königen wieder einmal, wer das Recht zum Richten hat. Genau hier kam er durch,
aus Sizilien, im 12. Jahrhundert, über unseren Pass, der grosse Friedrich, mit
Kamelen – Tiere, die unsere Tessiner und Urner noch nie gesehen hatten -, nahm da,
schenkte dort, sprach das Wort, dass es gelte.

Auch das furchtlose Kamel, das Lama, das hier jetzt die Schafe hütet rundum und
jenem Wolf mit Sicherheit einen Fusstritt versetzt hätte, kommt neuerdings zum
Dorfbrunnen und schaut sich um, als wolle auch es demnächst einziehen in eines
der Ferienhäuser, die jetzt leer stehen.

Wie auch immer – ES ist angekommen, und niemand weiss, wie lange es ihm beliebt
zu bleiben.

Und wie immer, wenn ein Besitzer anklopft – es wäre uns lieber, er würde bald
wieder gehen.

Neue Gedichte 8.02.22

Absturz

Als das Wünschen noch geholfen hat
war mir Schlaf genug

Als das Schlafen noch geholfen hat
war mir Tag genug

Als das Wachen noch geholfen hat
war mir Wachen genug

Danach wünschte ich mir
ich könnte schlafen
und würde nie mehr wach

*

Mond

Er fuhr, als hab er’s eilig durch die Wolken
Wohin du guter Mond in jener Nacht
Als wir, du weisst schon, dort im Gebüsch am Ufer
Geweissagt, dass er unseretwegen lacht

Die Sonne kann nicht Anwalt sein
Sie ist die Tat, was sonst am Firmament
Mag ihre Herrschaft nicht besonders
Es ist der stille Mond, der Gnade kennt

Es sind die Wolken doch, die fahren
Recht hast du Kind, und Herz ist bloss Organ
Doch lebt der Mensch vom Brot allein
Wär’ er nicht Mensch geworden
Der Kaiser hät’ nicht Kleider an

Er fuhr, als floh er weg, der gute Mond
Und Kind, lass dir’s nicht nehmen
Die Wahrheit bringt das Licht
Doch lach auch mit dem Mond am Himmel
Mehr Trost ist auf der Erde nicht

*

Deadlines

Wer wagt schon, sie zu überschreiten
diese Striche
Doch jeder Idiot kann sie ziehen
Ohne Mandat
Eine Frechheit mehr im Gerangel der Tage
Erpressung am helllichten Tag
bei laufenden Kameras

Lieber barfuss an den Südpol stapfen
Lieber blind der Liebe verfallen
An Feindschaften festhalten
Kindern Zukunft aufbürden
Tiere auf Loyalität trimmen
Pflanzen stutzen
Selfies verschicken
Lieber es auf die Spitze treiben
Koste es, was es wolle
Was wäre, was man Kultur nennt, ohne
Was alles sagt zu diesem Thema

Die auf sie pfeifen
diese Todgeburt

Das, was sie pfeifen
hüpfend über Striche
vor und zurück
von Kindern gesetzt
soll mir gelten

Die vor Denkmälern
gedankenlos vorüber gehen

*

(Seitenspiele II)

Der dümmste Moment

Kommt immer dann, wann sonst
Er war schon immer der Dümmste gewesen
soweit ich zurückdenken kann
In der Schule war es nur aufgefallen

Wie sonst kann einer auf die Idee kommen
sich an meine Füsse heften
Einem, der alles dafür tut
um dümmsten Momenten aus dem Weg zu gehen
Noch nachts unterwegs mit seinen Kulissen

Und dümmer nicht sein kann
Könnten sie doch nicht dumm sein
Wenn sie im kämen
Die dümmsten Momente
Im richtigen

*

Der Extreme

Er stapfte an den einen Pol
Er stapfte an den andern Pol
Er stapfte allein

Es wunderte uns nicht
dass er wiederkam

Er bestieg den Höchsten Berg
Dann alle andern Berge
Er stieg allein
ohne Seil
unser Held

Es wunderte uns nicht
dass er wiederkam

Er schwamm durch dieses Meer
Er schwamm in jenem Meer
Er schwamm allein
umzingelt von Haien

und kam nicht wieder

Hätte er bloss Zigaretten gekauft
Und wäre nicht wiedergekommen
wir hätten ihn vermisst

*

(Seitenspiele II)

Der Stoiker

Falsch
Er steht nicht ungerührt
inmitten von

Er ist die Mitte von

Chaotiker, der er ist
unter den Philosophen
Wie sollte ihn Chaos erschüttern

Hilflos, doch nicht verzweifelt
Ein Nachbild, kein Vorbild
Wie könnte man von ihm lernen

Da steht er
Und weiss nicht weiter

Das ist ja auch alles
an der Philosophie

*

Grammatik

Verdirbt den Spass
bevor er infrage käme
Bremst
bevor Klippen in Sicht kommen

Wo das Meer rauschte
der Horizont sich öffnete
Der Sturz zu überleben wäre

Erzfeind von Seitenspielen
Freund pädagogischer Erpressung

Doch Kinder nehmen die Verpackung
statt das Geschenk
Das gut gemeinte
Und bauen Eigenes
Styropor hat ungezählte Follower
Das Plusquamperfekt hat bloss Besserwisser
Im Schlepptau
Gestorben schon vor der Vergangenheit
Was alles sagt
Und hat man schon fröhliche Wächter gesehen

Sie retten den Genitiv
und meinen sich selbst
kein Wunder, hilft ihnen niemand

Kinder hört auf eure Signale
Entführt den Genitiv aus den Gymnasien
Nehmt in sanft an der Hand
Und führt ihn ins Land eurer Smileys
Der Pausenplatz war schon immer der ergiebigste Ort
der Bildungsgeschichte

Denn die in der Sprachwüste bestanden
Sind als Verkünder bekannt
Es sind die verlorenen Söhne, die übernehmen

*

Condition fatale

Dazu braucht ein Virus nicht einmal Hirn
Man bringt den Wirt nicht um
in dessen Haus man speist

Doch als der letzte Baum gefallen war
auf jener Insel
der letzte Gott lag
vornüber im Gras
der Rauch sich verzog
aus der letzten Höhle
über der Klippe
der Nachbar verscharrt
seine Bündel geplündert
die Knochen abgenagt

Blieb noch der Name

Osterinsel

Verheissung
im Nichts
Auf einem Planeten
im Nichts

Bald ohne Wirte
Ostern ohne Verheissung

*

(Seitenspiele II)

Rennen für den Frieden
Singen für den Frieden
Sammeln für den Frieden
Kochen für den Frieden
Hungern für den Frieden
Zeugen für den Frieden
Stricken für den Frieden
Pflanzen für den Frieden
Wachen für den Frieden
Schreiben für den Frieden
Stehen für den Frieden
Beten für den Frieden
Kämpfen für den Frieden

Friede
Wann lässt man dich endlich in Frieden

*

Rose

Wenn Missbrauch nach Unschuld ruft
Hat er sie schon gefunden
Wenn Züchtung Gründe braucht
Sieh sie dir an
Wenn Begehren Beispiel braucht
Ist sie die richtige Wahl
Rot wie die Lippen, wer’s versteht
Süss wie der Verrat
In andern Farben Beleidigung
genau genommen
Rasch verblüht
Ihre Schlaufen für jeden Zweck
den treuen Gärtnern verhasst
die nie Rosen bekommen

Doch niemand kann behaupten
Sie zeige nicht ihr wahres Gesicht
Es kann Blut fliessen
Wer ihr zu nahe kommt

Ich liebe Rosen

Wenn sie selbst versprechen
werden sie es halten
Bliebe ihr Blühen
Ich würde sie hassen

Rose

Heilige Hure
heilig, wer sonst
zahlst den höchsten Preis
für das Höchste

*

Segelhafen
für Gonne

Drôle de Guerre
Entlaubter Wald
Ungeduld der Masten
klingeln nach Bedienung
auf dass das Schicksal Fahrt aufnehme

Doch Segel genügen sich selbst
Das Meer genügt sich selbst
Da fährt ein Mensch hinaus
Als wüsste er wohin

*

Tod

Er kommt als jener Gast der Party
den das Erinnern später stets vergisst
Doch war da einer noch als einer welcher
vergessen immer schon, bevor er eingeladen ist

So geht der Tod, als stiller Sponsor doch
durch Hintertüren ein und aus
Wir tanzen dumm und dreist im Lichte
Doch jener Unscheinbare macht die Lichter aus

*

Toter Winkel

Armer du
Bist tot und kannst nicht sterben
Musst an jeder Ecke warten
seitenverkehrt
von Spiegeln umzingelt

Blinder Passagier
Hin und zurück
Verleugnet von jeder Liste
Doch immer dabei
Darfst nie aussteigen
Niemand dankt dir
Für jede Ausrede gut

Aber Achtung!
Er weiss mehr als du
Seine Geheimnisse haben es in sich
Bedenke die Sturzgefahr deiner Hybris
Er ist es, der dir keine Ruhe lässt
Der Namenlose
Untote kommen zu Unzeiten
Und fordern Lebzeiten

Schau besser hin
Schau hinein
In dich

*

Von der Wende

Sie schiefern über die Wasser
vom Leichtsinn geworfen
oder mahnen sanft mit dem ersten Schnee
ihre Vorboten
schon weg
wenn die Sonne wieder täuscht
Leitstern der ewig Leichtsinnigen
unter den Sonnen

Später
Im Frühling
auf Mauern tanzend
dreht sie Wendehälsen
den Hals um
und steckt der Macht
Blumen in die Röhre

Doch Achtung
man unterschätze sie nicht
die Wende
Sie zuckt nicht mit der Wimper
wenn sie verführt
sie kann Massen in Gräber legen
und liebt die alten Gewänder
der Mächtigen
Das Blut daran stört sie nicht
Mit dem kalten Wasser der Enttäuschung
ist es weg bis zum nächsten Mal

Und sie kann springen
weiss Gott am besten
Der meistzitierte auf diesem Gebiet
Er hat diesen Sport erfunden
Zehn Schritte vor
Und neun zurück
Für Applaus nicht zu gebrauchen

(Man kann auch finden
Ein Schritt hätte genügt
Ich liebe das Land
In dem diese Einsicht grassiert
Und hasse es
Um die Langweiligkeit seiner Tage
Schweiz genannt
Land, in dem man beim Wenden
stets an Felsen stösst
Aber einmal gewendet
wohlweislich dabei bleibt)

Nein, Wende kann alles
Auch anders
Kontinente kehren
Ohne Schuss und Trara
Am besten dem Irrtum verdankt
Dem niemand Denkmäler setzt
Verdiente gingen stets leer aus
Geschichte hiesse anders

Wie auch immer
So ist sie nun mal
Gott hab sie selig

Sie kann es brauchen

die Wende

*

(Seitenspiele II)

Wie die Wahrheit um die Ecke kam
(eine wahre Geschichte)

Vor langer Zeit war einmal eine Wahrheit
Das war vor den Kirchenvätern und Päpsten
Doch war sie den Herren zu gross
Stets stiessen sie sich an ihr

Also fassten sie sie an ihren Ecken und Enden
Und faltete sie in der Mitte
War ihnen doch
Als ob Gott ihnen helfe

Die Zeit verging
Ihre Kirche wuchs
Mit ihr die Güter
Der Platz wurde knapp
Wo sollten sie nur hin mit der halben Wahrheit

Also falteten sie sie noch einmal
Und weil sie schon mal dran waren
gleich noch einmal um alle Ecken und Enden
Und nannten sie Dreifaltigkeit
Das Falten Konzil

Was ja den Umständen korrekt entsprach
Um nicht Wahrheit zu sagen

Naja, wie immer
Nur fehlt sie uns nun an allen Ecken und Enden

Die ganze Wahrheit

*

(Seitenspiele II)

Fluch der Bösen Tat

Es war einmal ein Fluch der Bösen Tat
Und wie es die so haben
seiner Kaste
versteckte er sich, wo er auch war

Auf dem Estrich, im Keller
in den Büschen hinter dem Haus
und wartete auf seine Stunde

Es ist ihr Ding
Flüche halten es lange aus
Bis ins siebte Glied
Wem das noch etwas sagt

Darum sage einer, es gebe keine Gespenster
Sieht man denn nicht, was man weiss
Und gäbe es Flüche, wüsste man nicht

Warum dann dein zügiger Gang
dein Stottern am Telefon
dein verstohlenes Gehabe um den Briefkasten
im Lift schon aufgerissen, das Schreiben
aufs Schlimmste gefasst
Deine Blicke über die Hecke
Verstohlen, als hättest du nicht
Die Vorhänge
die Grüsswut
die Küsswut
die Codes
gefilmt, begleitet dein Gang selbst auf die Toilette
Musik selbst in der Tiefgarage
Terror der freundlichen Farben
Die Gehstreifen, auf dass nichts von hinten komme

Man mache mir bloss nichts vor
Genug, dass wir alle wissen
Und so tun, als wüssten wir nicht

Alltag genannt
Stets kurz vor der neuen Tat

Neue Gedichte 13.2.22

Es

Vergiss die andern

Es geht doch um fünf Gedichte

Mal ehrlich gesagt

Vielleicht drei

Schon zwei wären was

Auch nur eines

Ähnlich wie dieses

Beim Telefonieren

gekritzelt

wartend auf den Bus

an die Mauer des ultimativen Vergessens

Gefunden im Abfall

In der Gegenrichtung

Kann also nicht von mir sein

Unbemerkt von einem fremden Karren gefallen

Radspuren beweisen es

ich brauchte nur zu folgen

Hingeworfen

ein Fetzen

Vom Wind gedreht

Wirbel

nicht weit über dem Asphalt

im Hinterhof

Staub, Blätter, Kindergeschrei

Jemand öffnet ein Fenster

und schliesst es wieder

Die Wahrheit

Du kannst mir erzählen
was du willst
ich will nicht wissen ob’s stimmt
Niemand sagt’s so schön wie du
für Götter, du Schöne, dein Bild

Die Götter lügen, dass es kracht
Die Tiere im Walde, sieh an
Die Wahrheit haben die Menschen erdacht
und tun sich schwer daran

Ich will nur eines, dass du dich bemühst
Und ob ich dir Wert bin dabei
Was wir auch erzählen, so war es nicht
Doch das sei mir einerlei

(Seitenspiele II)

Vom Zahn der Zeit

Es kam die Lüge daher
Aus Schwäche geboren
Und blieb

Es kam die Wiederholung daher
Aus List geboren
Und blieb

Die beiden gefielen einander
Und blieben Freunde
Durch dick und dünn

Sie Verschoben Berge
Sie verschoben Flüsse
Sie verschoben Menschen
Ohne Rücksicht auf Verlust

Doch es kam der Zahn der Zeit
Die Berge bröckelten
Die Wasser stauten sich
Die Menschen liefen zurück
Die Lüge brach erschöpft zusammen
Die Wahrheit kam ans Licht

Leider immer zu spät

Internet

Kein Netz
wie auch

Blaupause
blauer Planet

pausenlos
treibend
gleichgültig
im All

(Seitenspiele II)

Packungsbeilage

Placebo sei mehr Dank
Schon genug was die Schachtel verspricht

Und mehr Dank an die Ärzte
Die einem die Zeit vertreiben
bis die Natur von alleine geheilt hat
(Was schon Voltaire aufgefallen ist)

Wollte Sagen
Lesen sie die Packungsbeilage
besser nicht
und lassen sie sich nicht auch noch von einem Arzt
oder Apotheker beraten

Es kann ihre Gesundheit beinträchtigen

Überflieger

Abdüsen
und nie mehr runterkommen
Niederungen ade

Wie die Mauersegler
ständig high

Wasser, dann Erde, dann Luft überwunden
Lästige Elemente doch nur
Das mache mal jemand nach
aus unserer Zunft

Glaubt mir Freunde
Es geht nicht
Ich habe es probiert

Was ich überflog
wuchs mir über die Ohren
Unmerklich
Bei der nächsten Runde
plötzlich Wipfel und Gipfel

Und wie ich auch hochzog
No more engine available

Ich hatte Glück
Es waren Wipfel
Ich hing drei Jahre kopfunter
Im Geäst

Nicht ich war’s
Der Schnee brach die Äste
Ich fiel auf die Füsse
und ging nach Hause

Das ist alles an Einsicht

Sie wird niemanden abhalten
Den Segen eines Absturzes zu verpassen